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Overview
C. U. Wiesner Geboren im letzten Monat der Weimarer Republik, am Neujahrstag 1933, in der einstigen märkischen Hauptstadt Brandenburg, entwich nach dem Abitur den heimatlichen Stadtmauerzwängen, gelangte in eine etwas größere Hauptstadt, ohne zu ahnen, dass man dort schon zehn Jahre später aus väterlicher Sorge bemüht sein würde, ihm den Horizont mit erheblicherem Bauaufwand zu verstellen. Eines Tages mochte er fürder nicht mehr in der eingefriedeten Hauptstadt leben und zog es vor, in die vertrauten märkischen Wälder zurückzukehren. Dank prophetischer Gaben bestellte er den Möbelwagen von Berlin-Pankow nach Klosterfelde für den 9. November 1989. Während des achtunddreißigjährigen Berlin-Aufenthalts: Studien als Dolmetscher für Englisch; Germanistik und Filmszenaristik (diese im Gegensatz zu jenen hin und wieder angewandt). Tätig als Lektor, Redakteur, Reporter, Theaterkritiker, Mitarbeiter der satirischen Zeitschrift Eulenspiegel, Entertainer in eigener Sache, Schauspieler (leider zu selten) und (vorwiegend) Schriftsteller. Sein bekanntestes Geschöpf ist der Frisör Kleinekorte, den das Berlin-Brandenburgische Wörterbuch zu Recht an die Seite der Volksfiguren von Glaßbrenner und Tucholsky stellt. C.U.W. schrieb u. a. Hörspiele, Kabarett-Texte, Fernsehfilme und Fernsehserien (u. a. Gespenstergeschichten wie Spuk unterm Riesenrad, Spuk im Hochhaus, Spuk aus der Gruft für Kinder von 8 bis 88 Jahren) sowie dreizehn Bücher, vom Kinderbuch über den Kriminalroman, die satirische Darstellung eigener Umwelt im weitesten Sinne bis zum bitteren erst um die Jahreswende 1989/90 nach einiger Verzögerung erschienenen Märchenroman für Erwachsene Die Geister von Thorland, Machs gut, Schneewittchen! und Lebwohl, Rapunzel! erzählen von den Kinder- und Jugendjahren in der Havelstadt Brandenburg.
Product Details
ISBN-13: | 9783863944025 |
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Publisher: | EDITION digital |
Publication date: | 01/01/2013 |
Sold by: | CIANDO |
Format: | eBook |
Pages: | 135 |
File size: | 351 KB |
Language: | German |
About the Author
Read an Excerpt
Er kam zur Tür hereingeschlichen, grüßte verlegen und blickte scheu zu den Tischen, an denen die Einheimischen saßen. Dann fragte er höflich, ob er bei mir Platz nehmen dürfe. Ich hatte nichts dagegen. Der Mann steckte in einem sauberen, aber ungemein armseligen Nachkriegsanzug, wie ihn heute nicht einmal Empfänger der Mindestrente anziehen würden. Sein verängstigter Gesichtsausdruck, der gleichwohl nicht vom schlechten Gewissen eines Bösewichts geprägt schien, weckte mein Mitleid. Ich lud den Mann zu einem Bier und einem Korn ein, wobei ich nicht verhehlen will, dass mich eine gewisse berufliche Neugier trieb, sein offensichtlich trauriges Schicksal zu ergründen. Er sprach jedoch nur über das Wetter und über die unzureichende Straßenbeleuchtung von Trockenburg. Erst später, kurz vor der Polizeistunde - die letzten Einheimischen hatten singend das Lokal verlassen - rückte er mit seiner Geschichte heraus: »Sehnse, ich bin an sich 'n ganz normaler Mensch, verheiratet, zwei erwachsene Töchter, nette Schwiegersöhne ...«
»Ihr Familienleben ist also in Ordnung?«, warf ich ein. »Vermutlich Sorgen im Beruf?«
»Nein«, antwortete er, »ich bin Buchhalter und hab mir seit dreißig Jahren nie was zuschulden kommen lassen.«
»Na also«, erwiderte ich. »Quält Sie irgendein heimtückisches Leiden?«
»Ach wo«, sagte er treuherzig, »ich bin kerngesund. Aber das verdammte Zahlenlotto ... fünf, sechs Jahre lang habe ich jede Woche zwei Tippscheine abgegeben und nie was gewonnen.«
»Das müssen Sie sich nicht zu Herzen nehmen«, entgegnete ich. »Mir geht’s genauso.«
»Na, dann wissen Sie ja, wie das ist. Man hofft von Woche zu Woche, macht Pläne, man verspricht den Leuten das Blaue vom Himmel ...«
Ich nickte. »Und gewinnen tut man immer wieder nichts.«
»Doch«, flüsterte er, »vor drei Wochen hatte ich einen Fünfer. Einhundertsechsundachtzigtausendzweihundertfünfundvierzig Mark.«
Vor Ärger hätte ich fast mein Bierglas umgeworfen. Da hatte ich also von meinen paar Piepen diesen Krösus den ganzen Abend freigehalten. Ich fasste mich. »Nun sagen Sie bloß, Sie haben die Tasche mit dem vielen Zaster in der Eisenbahn stehen lassen oder gar Ihren Tippschein gar nicht abgegeben?«
Er grinste hilflos. »Von wegen! Ich bin ein korrekter Mensch. Das Geld habe ich noch bis auf den letzten Pfennig beisammen.«
»Ich versteh Sie nicht«, sagte ich ungehalten, »da könnten Sie leben wie Gott in Frankreich, sich ein Häuschen bauen, Maßanzüge tragen, ins Ausland reisen ...«
»Eben nicht«, unterbrach er mich. »Damals, als ich nicht an einen Hauptgewinn glaubte, hab ich meinen Kollegen eine gemeinsame Reise nach - ist ja auch egal -, meinem Freund eine Motorjacht, jedem Schwiegersohn einen neuen Wagen, meinen Töchtern einen Persianer ... und was ich den Leuten hier so abends in der Kneipe versprochen habe! Als ich dann heimlich das Geld abholte, dachte ich, die sollten mal wissen ...«
Ich begann ihn zu begreifen. »Und nun tut Ihnen das alles leid, und da mimen Sie in der Öffentlichkeit den armen Mann, und zu Hause machen Sie mit Ihrer Frau Lebeschön?«
Er schüttelte den Kopf. »Das geht auch nicht. Wenn meine Frau von dem Gewinn wüsste, wär es sofort in Trockenburg herum. Und deshalb sag ich mir jeden Tag: Nur nicht auffallen - dass bloß keiner dahinterkommt und mich beim Wort nehmen will. Was soll ich machen? Die Arbeit aufgeben? Da würden die Kollegen stutzig werden. Kauf ich mir Schnaps, fragt mich meine Frau, wo ich das Geld herhabe. Sagen Sie selbst, was blieb mir übrig, als die Tasche mit den Geldscheinbündeln an einem sicheren Ort zu vergraben?«
»Ja, aber«, fragte ich ihn, »was haben Sie denn nun von Ihrem Hauptgewinn?«
Er drehte sich eine Zigarette und lächelte versonnen. »Das schöne Gefühl, ein steinreicher Mann zu sein. Spendieren Sie mir noch ein Bier?«