Verratenes Land: Thriller

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eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Ich hatte nie vor, meinen Bruder zu töten.

Ich hatte nie die Absicht, meinen Vater zu hassen. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich meinen eigenen Sohn beerdigen würde. Und ich hätte mir auch nicht vorstellen können, dass ich den Kindheitsfreund betrügen würde, der mir das Leben rettete, oder dass ich für eine Lüge den Pulitzerpreis bekommen würde.
All diese Dinge habe ich getan, und doch würden mich die meisten Leute, die mich kennen, als ehrenwerten Mann bezeichnen. So weit würde ich nicht gehen. Aber ich versuche, ein guter Mensch zu sein, und ich glaube, dass es mir meistens gelingt. Wie ist das nur möglich? Wir leben in komplizierten Zeiten.
Und es ist nicht einfach, ein guter Mensch zu sein.

»Ein großartiges Werk von herausragender Bedeutung, voller Kraft und von großer Ernsthaftigkeit.«
Washington Post über die Natchez-Trilogie


Product Details

ISBN-13: 9783959678834
Publisher: HarperCollins Publishers
Publication date: 08/19/2019
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 896
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

About The Author
Greg Iles hat den Großteil seiner Jugend in Natchez, Mississippi verbracht. Sein Debütroman Spandau Phoenix, war der erste von 15 New-York-Times-Bestsellern. Iles‘ Romane wurden verfilmt und in mehr als 35 Ländern veröffentlicht. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Natchez, Mississippi.

Hometown:

Natchez, Mississippi

Date of Birth:

1961

Place of Birth:

Stuttgart, Germany

Education:

B.A., University of Mississippi, 1983

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Ich hatte nie vor, meinen Bruder zu töten. Ich hatte nie die Absicht, meinen Vater zu hassen. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich meinen eigenen Sohn beerdigen würde. Und ich hätte mir auch nicht vorstellen können, dass ich den Kindheitsfreund betrügen würde, der mir das Leben rettete, oder dass ich für eine Lüge den Pulitzerpreis bekommen würde.

All diese Dinge habe ich getan, und doch würden mich die meisten Leute, die mich kennen, als ehrenwerten Mann bezeichnen. So weit würde ich nicht gehen. Aber ich versuche, ein guter Mensch zu sein, und ich glaube, dass es mir meistens gelingt. Wie ist das nur möglich? Wir leben in komplizierten Zeiten.

Und es ist nicht einfach, ein guter Mensch zu sein.

CHAPTER 2

Buck Ferris war auf die Knie gesunken und zog eine Kugel aus gebranntem Ton aus dem sandigen Boden neben dem Mississippi, erhob sich stöhnend auf die Füße und kletterte aus der Grube neben dem Grundpfeiler. Im Mondlicht war es schwierig, das Alter des Fundes sicher zu bestimmen, und Buck konnte es nicht riskieren, Licht anzumachen – nicht hier. Und trotzdem ... war er sich sicher. Die Kugel in seiner Hand hatte man ein paar Jahrhunderte vor der Zeit gebrannt, als Moses mit den Kindern Israels in die Wüste aufbrach. Ferris war seit sechsundvierzig Jahren Archäologe, aber noch nie hatte er etwas dergleichen entdeckt. Er hatte das Gefühl, als vibrierte die kleine Kugel in seiner Hand. Der letzte Mensch, der diesen Ton berührt hatte, hatte vor beinahe viertausend Jahren gelebt – zwei Jahrtausende bevor Jesus von Nazareth durch den Sand Palästinas schritt. Sein Leben lang hatte Buck darauf gewartet, dieses Artefakt zu finden; dieser Fund stellte alles in den Schatten, was er je getan hatte. Wenn er recht hatte, war der Boden, auf dem er stand, die wichtigste bisher unentdeckte archäologische Stätte in ganz Nordamerika.

»Was hast du denn da, Buck?«, ertönte eine Männerstimme.

Bläulich-weißes Licht stach Ferris in die Augen. Fast hätte er sich vor Schreck bepisst. Er hatte geglaubt, auf dem riesigen, niedrig gelegenen Gelände des Industrieparks allein zu sein. Eine Viertelmeile weiter westlich floss der ewige Mississippi vorüber, nichtsahnend.

»Wer sind Sie?«, fragte Ferris und hob die Linke, um seine Augen abzuschirmen. »Wer ist da?«

»Man hat dich gewarnt, diesen Boden nicht anzurühren«, sagte der Mann hinter dem Licht. »Das ist Privateigentum.«

Der Sprecher hatte einen gebildeten Südstaatenakzent, der Buck irgendwie bekannt vorkam. Doch er konnte ihn niemandem zuordnen. Zu seiner Verteidigung konnte Buck auch nicht viel vorbringen. Im Lauf der letzten vierzig Jahre hatte er sieben Mal die Erlaubnis beantragt, auf diesem Gelände zu graben, und war jedes Mal abgewiesen worden. Aber vor fünf Tagen hatte die Bezirksverwaltung die Trümmer der Galvanisierfabrik forträumen lassen, die hier seit dem Zweiten Weltkrieg gestanden hatte. Und in zwei Tagen würde ein chinesisches Unternehmen anfangen, an ihrer Stelle eine neue Papierfabrik zu bauen. Wenn jemand herausfinden sollte, was unter dieser Erde lag, dann jetzt – und zum Teufel mit den Konsequenzen.

»Wo kommst du denn her?«, fragte Buck. »Ich habe niemand gesehen, als ich eingetroffen bin.«

»O Buck ... Du warst immer so ein braver Junge. Wieso konntest du die Sache nicht auf sich beruhen lassen?«

»Kenn ich dich?«, fragte Ferris, der sich sicher war, dass er die Stimme schon einmal gehört hatte.

»Anscheinend nicht.«

»Ich glaube nicht, dass du verstehst, welchen Wert das hier hat«, sagte Ferris mit vor Aufregung schriller Stimme.

»Du hast da gar nichts«, erwiderte die Stimme. »Du bist nicht einmal hier.«

Da begriff Buck in groben Zügen, und in seinem Magen begann etwas zu surren wie ein straff gespannter Draht, der fest gezupft wird. »Warte, hör zu«, brachte er vor, »dieser Boden, auf dem du stehst ... das ist eine viertausend Jahre alte Indianersiedlung. Vielleicht fünf- oder sechstausend Jahre alt, je nachdem, was wir finden, wenn wir tiefer graben.«

»Du hoffst wohl auf eine Fernsehserie im PBS?«

»Großer Gott, nein. Verstehst du nicht, was ich dir erkläre?«

»Klar doch. Du hast irgendwelche Indianerknochen gefunden. Die Sache ist die: Das ist eine schlechte Nachricht für alle.«

»Nein, hör doch zu. Fünfzig Meilen von hier entfernt in Louisiana gibt es eine Stätte genau wie diese hier. Die heißt Poverty Point. Das ist eine Welterbestätte der UNESCO. Da kommen jedes Jahr Tausende von Touristen hin.«

»Da war ich schon. Ein paar Dreckhügel, und das Gras müsste mal wieder gemäht werden.«

Schließlich begriff Buck, dass er genauso hätte versuchen können, einem Hillbilly was von Bach zu erzählen. »Das ist doch lächerlich. Du ...«

»Eine Milliarde Dollar«, fuhr der Mann dazwischen.

»Wie bitte?«

»Eine Milliarde Dollar. So viel könntest du diese Stadt kosten.«

Buck versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, aber die Kugel in seiner Hand schien immer noch zu vibrieren. Sie war unter dem Namen »Poverty-Point-Artefakt« bekannt, und die Indianer hatten sie benutzt, um im Schlamm Fleisch zu garen. Gott allein wusste, was sonst noch im Lössboden unter ihren Füßen lag. Keramik, Speerspitzen, Schmuck, religiöse Gegenstände, Knochen. Wie konnte jemand nicht verstehen, was es bedeutete, auf diesem Boden zu stehen und zu wissen, was er wusste? Wie konnte das jemandem egal sein?

»Das muss doch eure Abmachung nicht zunichtemachen«, sagte er. »Situationen wie diese werden doch ständig zur Zufriedenheit aller beteiligten Parteien irgendwie geregelt. Der Denkmalschutz kommt dazu, bewertet die Stätte, und sie entfernen Artefakte, falls das überhaupt nötig ist. Um sie zu schützen. Das ist alles.«

»Hätten die den ganzen Poverty Point fortgeschafft, um eine Papierfabrik zu bauen, Buck?«

Nein, dachte er. Das hätten sie nicht.

»Eine Milliarde Dollar«, wiederholte der Mann. »In Mississippi. Das entspräche in der großen weiten Welt eher zehn Milliarden. Und da reden wir noch nicht mal davon, was es mich persönlich kosten könnte, wenn wir die Papierfabrik verlieren.«

»Könntest du das Licht aus meinen Augen nehmen?«, fragte Buck. »Können wir uns nicht wie zivilisierte Menschen unterhalten?«

»Mach's«, sagte die Stimme.

»Was?«, fragte Buck. »Was soll ich machen?«

»Ich habe dein Gitarrenspiel immer sehr gemocht«, sagte der Mann. »Du hättest dabeibleiben sollen.«

Buck hörte, wie sich hinter ihm etwas bewegte, konnte sich jedoch nicht schnell genug umdrehen, um zu sehen, wer da war, oder um sich zu schützen. Auf seiner Netzhaut brannte noch ein weißes Nachbild, und aus diesem Weiß tauchte ein dichtes schwarzes Rechteck auf.

Ziegelstein.

Er riss die Hände in die Höhe, aber es war zu spät. Der Ziegelstein krachte auf seinen Schädel und verzerrte seine Wahrnehmung. Er spürte nur Schmerz und torkelnde Übelkeit, als er in die Dunkelheit stürzte. Das Gesicht seiner Frau flackerte vor seinem Auge, bleich vor Sorgen, als er sie am Abend verlassen hatte. Während er auf die Erde prallte, dachte er an Hernando de Soto, der 1542 nicht weit von hier in der Nähe des Mississippi gestorben war. Er fragte sich, ob diese Männer ihn neben dem Fluss begraben würden, den er so lange schon liebte.

»Schlag ihn noch mal«, sagte die Stimme. »Schlag ihm das Hirn zu Brei.« Buck versuchte, seinen Kopf zu schützen, aber seine Arme wollten sich nicht bewegen.

CHAPTER 3

Ich heiße Marshall McEwan.

Mit achtzehn bin ich zu Hause weggelaufen. Ich bin nicht vor dem Staat Mississippi weggelaufen – sondern vor meinem Vater. Ich habe mir damals geschworen, dass ich niemals zurückgehen würde, und habe mein Versprechen sechsundzwanzig Jahre lang gehalten, mit Ausnahme einiger kurzer Besuche bei meiner Mutter. Es war kein leichter Weg, aber schließlich war ich einer der erfolgreichsten Journalisten von Washington, D. C. Die Leute meinten, ich hätte die Druckerschwärze im Blut; mein Vater war in den 1960er Jahren ein legendärer Chefredakteur und Zeitungsherausgeber – die New York Times hat ihn einmal als »das Gewissen von Mississippi« bezeichnet –, aber ich habe mein Geschäft nicht von Duncan McEwan gelernt. Mein Vater war eine Legende, die zum Säufer wurde und wie die meisten Säufer auch einer blieb. Trotzdem verfolgte er mich wie ein zweiter Schatten an meiner Seite. Also war es wohl unvermeidlich, dass sein Tod mich nach Hause zurückbringen würde.

Oh, er ist noch nicht tot. Sein Tod rückt näher wie ein einsames schwarzes Schiff, das sich durch die Wellen ankündigt, die es vor sich herschiebt, dunkle Wellen, die einen einst so scharfen Verstand stören und die über die schützenden Grenzen einer Familie hinwegrollen. Angetrieben wird dieses schwarze Schiff von komorbiden Störungen, wie die Ärzte es nennen: Parkinson, Herzversagen, Bluthochdruck, Säuferleber. So lange ich konnte, habe ich die Situation ausgeblendet. Ich habe schon gesehen, wie brillante Kollegen – die meisten zehn oder fünfzehn Jahre älter als ich – zu kämpfen haben, um in den kleinen Städten der Republik ihre kränklichen Eltern zu pflegen, und in allen Fällen hat ihre Laufbahn darunter gelitten. Durch Zufall oder Karma erlebte meine Karriere 2016 nach der Wahl von Trump einen kometenhaften Aufstieg. Und ich hatte nicht die geringste Lust, von meinem Kometen herunterzuspringen und wieder in Mississippi zu landen, um dort bei einem Vierundachtzigjährigen den Babysitter zu spielen, zumal der seit meinem vierzehnten Lebensjahr so getan hatte, als existierte ich nicht.

Schließlich gab ich mich geschlagen, weil mein Vater so krank war, dass ich meine Mutter nicht mehr aus tausend Meilen Entfernung bei der Pflege unterstützen konnte. Dad war in den letzten drei Jahrzehnten immer tiefer in Wut und Depression versunken, machte dabei alle in seiner Umgebung unglücklich und ruinierte seine Gesundheit. Doch da ich im Herzen ein braver Südstaatenjunge bin, war es nicht mehr relevant, dass seit über dreißig Jahren ein unüberbrückbarer Graben zwischen ihm und mir klaffte. Hier unten ist es ein ungeschriebenes Gesetz: Wenn dein Vater im Sterben liegt, gehst du nach Hause und hältst mit deiner Mutter die Totenwache. Außerdem verfiel unser Familienunternehmen – der Bienville Watchman (gegründet 1865) – unter Dads zunehmend unberechenbarer Leitung zusehends, und da er sich die letzten beiden Jahrzehnte starrköpfig geweigert hatte, diesen Dinosaurier von einer Zeitung zu verkaufen, musste ich den Laden am Laufen halten, bis wir das, was davon übrig war, nach seinem Tod an jemanden zum Ausschlachten verkaufen konnten.

Das redete ich mir jedenfalls ein.

In Wirklichkeit war mein Motiv komplizierter. Wir handeln kaum je logisch, wenn wir in unserem Leben vor wichtigen Entscheidungen stehen. Damals konnte ich meinen Selbstbetrug nicht erkennen. Ich befand mich immer noch in dem lang anhaltenden Schockzustand nach einer Ehe, die eine Tragödie überstanden – oder vielmehr nicht überstanden – hatte und dann, als meine berufliche Laufbahn in die Stratosphäre abhob, in eine Scheidung trudelte. Doch jetzt begreife ich es.

Ich bin wegen einer Frau nach Hause gekommen.

Sie war noch ein Mädchen, als ich von zu Hause wegging, und ich war ein verwirrter Junge. Aber ganz gleich, wie unerbittlich das Leben versuchte, die Weichheit aus mir herauszuprügeln und mich in den harten, spröden Panzer des Zynismus zu hüllen, so blieb in mir doch etwas Reines erhalten, lebendig und wahr: Das Mädchen, halb aus Jordanien, halb aus Mississippi, das mir die geheimen Freuden des Lebens enthüllte, hatte sich so tief in meine Seele eingegraben, dass keine andere Frau je an sie heranreichte. Achtundzwanzig Jahre Trennung hatten nicht ausgereicht, um meine Sehnsucht nach ihr abzutöten. Manchmal fürchte ich, dass meine Mutter mein geheimes Motiv von Anfang an kannte (oder vielleicht nur spürte und betete, dass sie sich irrte). Ganz gleich, ob sie es weiß oder ob sie so unwissend geblieben ist wie ich an dem Tag, als ich endlich klein beigab, jedenfalls ließ ich mich von meinen Jobs in Presse und Fernsehen beurlauben, packte das Nötigste ein und fuhr mit vor Anspannung weißen Knöcheln in den Süden, um den berühmtesten Ausspruch von Thomas Wolfe zu testen.

Natürlich kannst du wieder nach Hause gehen, antwortete mein Stolz. Zumindest für kurze Zeit. Du kannst deine Sohnespflicht tun. Denn welcher Mann, der sich für einen Gentleman hält, würde das nicht tun? Und sobald die Pflicht erfüllt ist und er tot ist, kannst du vielleicht deine Mutter dazu überreden, mit dir nach Washington zu kommen. Ehrlich gesagt, wahrscheinlich wusste ich, dass es eine müßige Hoffnung war. Doch sie gab mir etwas, das ich mir einreden konnte, damit ich nicht zu sehr über das unlösbare Problem nachdenken musste. Nein, nicht die Lage meines Vaters. Das Mädchen. Sie ist natürlich jetzt eine Frau, eine Frau mit einem Ehemann, der vielleicht mein bester Kindheitsfreund ist. Sie hat auch einen zwölfjährigen Sohn. Und während dieser Knoten in unserem Zeitalter der allgegenwärtigen Scheidungen vielleicht nicht viel von einem gordischen Knoten hat, sorgen doch andere Faktoren dafür, dass es wirklich einer ist. Die Misere meines Vaters hingegen ... wird sich zwangsläufig irgendwann erledigen.

Das klingt vielleicht eiskalt.

Ich sage nicht, dass Dad die Schuld an seiner Situation selbst trägt. Er hat, Gott weiß, seinen Teil Leiden erduldet – genug, um ihn lebenslang von der Religion zu heilen. Zwei Jahre ehe er meine Mutter heiratete, verlor er bei einem Autounfall seine erste Frau und die gemeinsame kleine Tochter. Und als wäre das nicht genug, kam mein achtzehnjähriger Bruder, als ich in der neunten Klasse war, auch bei einem Unfall ums Leben, bei einer Tragödie, die wie eine Bombe aus unsichtbarer Höhe auf unsere Stadt herabstürzte. Vielleicht hat es meinen Vater gebrochen, zwei Kinder nacheinander zu verlieren. Ich könnte das verstehen. Als mein Bruder Adam starb, war es für mich, als hätte Gott den Arm ausgestreckt und das Licht der Welt ausgeknipst, und ich stolperte wie ein Erblindeter, der sich nicht mit seinem neuen Leiden zurechtfindet, durch die nächsten zwei Jahre.

Aber »Gott« war mit mir noch nicht fertig. Zwanzig Jahre nach Adams Tod verlor ich meinen zweijährigen Sohn – mein einziges Kind – bei einem stinknormalen Haushaltsunfall. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn einen das Schicksal bricht.

Aber ich funktioniere noch.

Ich melke meine Informanten, ich schreibe Artikel, ich kommentiere auf CNN und MSNBC die Themen des Tages. Ich kann sogar Reden zu 35.000 Dollar das Stück halten (vielmehr konnte ich das, ehe ich wieder in meinen Drittweltstaat gezogen bin und damit meinen journalistischen Marktwert in einen irreversiblen Sturzflug katapultierte). Ich habe gelitten, aber ich habe weitergemacht. Das wurde mir so beigebracht – natürlich von meiner Mutter, nicht von meinem Vater. Und von Buck Ferris, dem Archäologen und Pfadfinderführer, der, nachdem mein Vater seine väterlichen Pflichten aufgegeben hatte, an seine Stelle trat und sein Möglichstes tat, um einen Mann aus mir zu machen. Nach all meinen Erfolgen meinte Buck, er hätte das wohl geschafft. Ich war mir nie so ganz sicher. Wenn ich es mir eines Tages doch beweisen könnte, würde er es nie erfahren. Denn irgendwann letzte Nacht wurde Buck Ferris ermordet.

Bucks Tod scheint der natürliche Anfang für diese Geschichte zu sein, denn so fangen diese Dinge gewöhnlich an. Ein Tod stellt eine praktische Demarkationslinie dar, triggert den vertrauten Dreiklang von Ermittlung, Schuldzuweisung, Bestrafung. Aber Anfänge sind kompliziert. Es kann Jahrzehnte dauern, bis die genaue Kette von Ursache und Wirkung feststeht, die zu einem einzigen Ergebnis geführt hat. Das habe ich bei meinem Uniabschluss in Geschichte gelernt, wenn auch sonst nicht viel. Aber ich kann keine zwanzig Jahre warten, bis ich diese Ereignisse anspreche. Denn im Augenblick bin ich zwar gesund – und habe getan, was ich konnte, um mich zu schützen –, doch es gibt Menschen, denen es lieber wäre, wenn ich nicht so gesund wäre. Am besten bringe ich alles jetzt gleich zu Papier.

Doch während wir diese vertrauten Schritte miteinander tanzen, vergessen Sie bitte nicht, dass nichts so ist, wie es scheint. Der Mord an Buck ist zwar ein natürlicher Anfangspunkt, aber diese Geschichte begann eigentlich, als ich vierzehn Jahre alt war. Die Leute, deren Lebenswege sich mit fatalen Folgen ineinander verschlingen sollten, lebten damals noch, und einige liebten sich bereits. Um diese Geschichte zu verstehen, müssen Sie zwischen zwei Zeiten schwimmen wie jemand, der sich zwischen Wachen und Schlaf hin und zurück bewegt. Die Natur unseres Geistes ist so angelegt, dass wir die Träume im Schlaf für die Vergangenheit halten, nie ganz präzise in der Erinnerung, immer so geschaffen, dass sie unseren Begierden dienen (außer wenn sie uns wegen unserer Sünden heimsuchen). Und die wache Gegenwart ... nun, auch die birgt ihre Gefahren.

(Continues…)


Excerpted from "Verratenes Land"
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